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Dienstag, 17. November 2015

Ärzte ohne Grenzen melden: "In Pozzallo inakzeptable Aufnahmebedingungen"

Redattore Sociale – Nichtfunktionierende sanitäre Anlagen, Schwierigkeiten bei der
Gewährleistung der Gesundheitsversorgung, Aufnahmestandards unter den Mindestvoraussetzungen. Dies ist das harte Urteil von Ärzte ohne Grenzen (Msf), das in einem Bericht festgehalten wurde, der die Bedingungen im CSPA* darstellt. Das Dokument wurde heute der Parlamentarischen Asyl-Ermittlungskommission vorgestellt, mit einer eiligen Bitte, einzuschreiten, konkret und strukturell, um gegen die als „inakzeptabel“ erklärte Situation vorzugehen.

Im Dokument wird daran erinnert, dass Msf seit Februar 2015 im CSPA* in Pozzallo medizinische Assistenz leistet und, nach Bedarf, psychologische Unterstützung für Migranten, Asylbewerber und Flüchtlinge zum Zeitpunkt ihrer Ankunft und während ihres Aufenthalts im Zentrum. Im Laufe ihrer Einsätze wurde das Personal der Organisation oft mit „unzulänglichen und unpassenden Rückmeldungen von Seiten der zuständigen Autoritäten“ konfrontiert. Der Bericht dokumentiert und unterstreicht somit Bedingungen, die sich unterhalb der Mindeststandards befinden, was die zur Verfügung gestellten Leistungen für Menschen und den Schutz der bedürftigsten Betroffenen anbelangt.
“Im Zentrum funktionieren die sanitären Anlagen oft nicht, es gibt keinen passenden Ort um die Behandlungen gegen Krätze durchzuführen, und es wird keinerlei Privatsphäre garantiert. Kurzum, das Zentrum bietet keine würdevolle Aufnahme“, betont Claudia Lodesani, Ärztin und Koordinatorin von Msf in Italien, „Wir brauchen heute mehr denn je ein System der Aufnahme, das die Bedürfnisse derjenigen berücksichtigt, die traumatische Ereignisse hinter sich haben. Von den ersten Phasen der Ankunft an, sollten die Leistungen größeren Schutz garantieren, wie zum Beispiel schneller Zugang zu ärztlicher Behandlung, Verfügbarkeit von tauglichen Räumen um Frauen und Kinder aufzunehmen und eine angemessene Rechtsberatung. Die Erkennung der schutzbedürftigsten Personen, wie zum Beispiel Opfer von Gewalt, schon in den ersten Stunden nach der Ankunft, ist von fundamentaler Wichtigkeit.“
Der Bericht beschreibt die Einrichtung als “unpassend und oft überfüllt”. Es wird dargestellt, dass das Zentrum von Pozzallo in einem Zustand der progressiven Verwahrlosung ist und Wartungsarbeiten benötigt, die bis heute, trotz wiederholter Meldungen, nicht durchgeführt wurden. Trotz einer maximalen Aufnahmefähigkeit von 220 Personen, muss es oft weit höhere Anzahlen von Ankünften annehmen, ohne eine angemessene Geschlechtertrennung und ohne passenden Schutz für dessen Bedürftigste. Die Bewohner des CSPA* erklären oft, dass sie nicht über die Rechtsberatung verfügen. Die Leistungsempfänger des Zentraums haben außerdem keine Möglichkeit es zu verlassen oder ihre Familienangehörigen anzurufen, aufgrund fehlenden Zugriffs auf Telefonleitungen und Guthabenkarten.
Auf der Basis dessen, was in Pozzallo festgestellt wurde, hat Msf die italienischen Autoritäten darum gebeten, von ihrer Ausnahmezustands-Herangehensweise abzukommen und eine strukturiertere Antwort  zu entwickeln, um Aufnahmebedingungen und entsprechende Leistungen zu garantieren. „Das Recht auf Gesundheit und psychisch-physisches Wohlergehen der Menschen müssen prioritär geachtet und als solche geschützt und garantiert werden“, fügt Stefano Di Carlo hinzu, Missionsführer von Msf in Italien. „Die innerhalb des Erstaufnahmesystems aufgenommenen Menschen müssen eine menschliche und würdige Behandlung erfahren. Insbesondere wer einen Asylantrag stellen möchte, muss Bedingungen zur Verfügung gestellt bekommen, die ihm dies erlauben, mit Prozeduren, die es möglich machen, dessen Bedürftigkeit erkennen zu lassen.“ Nach der heutigen Anhörung vor der Kommission hat Msf erklärt, dass weiterhin angemessene Aufnahmebedingungen und Leistungen innerhalb des CSPA* gefordert werden, mit dem Ziel, zu ihrer Verbesserung beizutragen und ein Modell zu definieren, das den Bedürfnissen derer, die den meisten Schutz benötigen, mehr Beachtung schenkt.
Seit Januar 2015 sind ungefähr 12.483 Menschen im Hafen von Pozzallo angekommen. Das Team von Msf in Sizilien – zusammengesetzt aus Ärzten, Krankenpflegern, Psychologen und kulturellen Mediatoren – hat das Gesundheitsamt der Provinz darin unterstützt, medizinische Assistenz während der Ankunft und des Aufenthalts im Zentrum zu leisten. Mehr als 2647 Personen wurden vom Ärzteteam behandelt, welches innerhalb des Zentrums zur Ersten Hilfe und Erstaufnahme arbeitet.

*CSPA – Centro di Soccorso e prima Accoglienza: Zentrum zur Ersten Hilfe und Erstaufnahme.

Übersetzung aus dem Italienischen von Alina Maggiore