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Dienstag, 10. November 2015

Wieder Landungen in Augusta und Pozzallo – aber die Reise der Migranten ist hier nicht zu Ende

Am letzten Wochenende wurden an den Küsten Siziliens etwa 940 Migranten in 8 verschiedenen Operationen gerettet. 258 von ihnen sind am Morgen des 7. November an Bord der belgischen Fregatte Leopold I, eines der Schiffe der Mission EU Navfor Med*, in Augusta angekommen. Schon berichten die Medien nur über die Verhaftung von 4 vermutlichen Schleppern und schweigen über das Schicksal der anderen Angekommenen, die vermutlich in die nächstgelegenen Zentren verteilt werden. Es sind zudem an die 713 Migranten, die am gleichen Tag an Bord der «Diciotti», eines Schiffes der italienischen Küstenwache, in Pozzallo ankommen.
Foto: Lucia Borghi
Deren für 14 Uhr vorgesehene Ausschiffung begann erst im Laufe des Nachmittages und zog sich im Regen bis spät am Abend hin. Am Pier waren das Rote Kreuz, der Zivilschutz, Ärzte ohne Grenzen, Save the Children, Terre des Hommes und viele Ordnungskräfte vor Ort -  ebenso Mitglieder von Frontex und Beamte von Europol, die hier ihrer Tätigkeit im Einvernehmen mit der italienischen Polizei nachgehen. Die Migranten kommen aus Ghana, Nigeria, Senegal, Marokko, Somalia, Palästina, Mali, Eritrea, dem Sudan, aus Algerien und Syrien, 52 von ihnen sind minderjährig.

In Anbetracht der grossen Zahl der Flüchtlinge ist unsere Besorgnis gross, was ihre Unterbringung betrifft und was sie dort erwartet: wird jedem der ihnen per Gesetz zustehende Schutz und individuelle Betreuung gewährt werden? Werden sie in einer Sprache angesprochen, die sie verstehen?  Werden sie mit den Polizeibeamten und Betreibern der Zentren kommunizieren können? Oder wird wieder eine rasche diskriminatorische Aufteilung praktiziert in wirtschaftliche und «richtige» Flüchtlinge? Wo werden die Syrer und Eritreer untergebracht, die in andere Länder weiterreisen werden? Ihre grosse Anzahl gibt uns Anlass zu Besorgnis, denn wir wissen wie leicht es ist, dass die Einzelfälle vergessen und die Einzelnen unsichtbar werden.
Zurzeit sollten die « Hotspots » (darunter auch das Aufnahmezentrum in Pozzallo) in Betrieb genommen werden. Aber die baulichen Zustände und internen Bedingungen für den Betrieb scheinen ungenügend und noch verwirrender als vor ein paar Monaten. Am Hafen wird über den sofortigen Transfer von etwa 300 neu Angekommenen in die Lombardei, nach Ligurien und in die Toskana gesprochen. Das sind lange Reisen, die die Migranten sofort antreten müssen ohne einen Kleiderwechsel oder eine Mahlzeit nach ihrer Überfahrt.
270 von ihnen sollen ins Aufnahmezentrum der Stadt transferiert werden. Am nächsten Tag erfahren wir aber, das 135 von ihnen in die Zeltstadt Pala Nebiolo in Messina gebracht wurden. Und das, trotz des dort seit mehreren Tagen herrschenden Wassernotstandes.

Wir befürchten die Nichteinhaltung des Rechtes auf juristische Unterstützung und die fundamentalen Menschenrechte (menschenwürdige und sichere, hygienisch einwandfreie Unterbringung, medizinische und psychosoziale  Betreuung). Unsere Sorge gründet sich auf den schlechten Zustand vieler Aufnahmezentren Siziliens, darunter eben die genannte Zeltstadt. Aber die Ausschiffungs- und Transferformalitäten werden routinemässig abgewickelt, mit Bustransporten werden die Migranten schnell aus dem Blickfeld der Zivilgesellschaft entfernt.
Das, was tatsächlich während der Befragungen und Prozeduren geschieht, werden wir erst Tage später erfahren. Wir hoffen natürlich, dass dieses Mal jede/r Migrant/in das unumstössliche Recht gewährt wurde: zu ihrer Anhörung, zur Information ihrer Rechte. Denn wir befinden uns in einem Land, das sich als Demokratie versteht, was aber nicht immer der Fall zu sein scheint.

Lucia Borghi
Borderline Sicilia Onlus

*EU Navfor Med: European Union Naval Force in the Mediterranean 

Übersetzung aus dem Italienischen von Susanne Privitera Tassé Tagne